Der Hälftenbericht

Jetzt bin ich fast schon fünf Monate in Alta, dass bedeutet das die Hälfte meines Auslandsjahres schon vorüber ist.  Was meine Mama vermutlich mit Freude erfüllt ;), gibt mir zu denken, was ich alles noch nicht gemacht und erlebt habe und was ich daher alles noch machen und erleben muss. Hier also mein Hälftenbericht. 

Zur Erklärung: den folgenden Text habe ich eigentlich für meinen Stipendiengeber AFS geschrieben, weil ich mir dafür aber auch so viel Mühe gegeben habe, habe ich gedacht ich könnte ihn auch hier veröffentlichen.

Also hier kommt er:

 

Ich werde nicht bei Adam und Eva anfangen, aber um einen Bericht über mein bisheriges Auslandsjahr zu schreiben, möchte ich den „Ursprung“ meiner Idee schon berücksichtigen.

Die Idee kam mir als die große Schwester einer guten Freundin nach Italien gereist ist, um dort für ein Jahr die Landessprache zu lernen und die Kultur und das Leben echter Italiener zu erkunden. Ich war damals erst knapp zehn Jahre alt und habe das Konzept eines Auslandsjahres noch nicht wirklich verstanden („Hä? Ist die da jetzt hingezogen und bleibt da jetzt für immer?“), aber seitdem hat mich dieser Gedanke nicht mehr losgelassen. Es war wie ein Virus der sich in mir festgebissen hat und sich über die Jahre immer verstärkt hat. Ich wollte mein eigenes Abenteuer erleben, wollte meine eigenen Erfahrungen haben und ganz allein in ein fremdes Land reisen und neue Menschen kennenlernen. Aus diesem Grund musste meine Mama schon früh akzeptieren, dass ich sie für zehn Monate verlassen werden würde, doch das hat den Abschied nicht weniger traurig gemacht. Am Flughafen sind uns beiden die Tränen gekullert, jedoch hat mich die Aufregung und die Vorfreude schon so in den Fingern gekitzelt, dass ich als ich mit den anderen Austauschschülern im Flugzeug saß nur noch an meine Gastfamilie denken konnte und an die Dinge die ich bald schon erleben werden würde.

Alta, meine jetzige Heimat, liegt hoch im Norden von Norwegen. Wir sind hier weit über dem Polarkreis und das bedeutet, dass hier seit Ende November die Sonne nicht mehr am Horizont zu sehen war. Dass bedeutet aber auch, dass im Sommer die Sonne nicht mehr untergeht und dass man hier fantastische Nordlichter beobachten kann. Apropos Nordlichter: Alta ist die Stadt der Nordlichter und als ich das herausgefunden habe konnte ich mein Glück kaum fassen, weil ich, seit ich klein war schon, den Traum hatte einmal in meinem Leben Nordlichter zu sehen. Jetzt sind aus dem einen Mal schon ganz viele Male geworden und trotzdem haben sie ihre Faszination nicht verloren und ich bleibe immer noch stehen und schaue nach oben, wenn sich eine dieser grünlich wirkenden Lichtstrahlen am Himmel absetzten und dir das Gefühl geben du würdest durch einen Riss in ein anderes Universum blicken. So weit im Norden zu leben hat aber auch andere Vorteile oder Nachteile, wie man das halt sieht. Hier gibt es nämlich viel Schnee, sehr viel Schnee. Ich hatte das Glück seit langer Zeit wieder weiße Weihnachten zu feiern und freue mich, wie ein kleines Kind, wenn ich aus dem Fenster gucke, über den vielen Schnee; der ist in meiner Heimat nämlich nicht so üblich oder zumindest nicht in diesen Ausmaßen. Was aber für mich auf jeden Fall ein Nachteil ist, sind die Temperaturen. Gestern habe ich das erste Mal in meinem Leben -18°C erlebt und was soll ich sagen, es war verdammt kalt.

Auch wenn ich in Norwegen erst seit ein bisschen mehr als vier Monaten leben, merke ich, dass ich mich in mancher Hinsicht doch schon deutlich zu meinem „früheren Ich“ verändert habe. Ich war in Deutschland nie wirklich von der Idee besessen einen Berg hoch zu wandern oder mich stundenlang in einem Wald aufzuhalten, um Beeren zu pflücken, aber jetzt sind das beides Dinge auf die ich mich tatsächlich freue. Weil momentan dickster Winter ist, könne wir keine Beeren pflücke gehen, aber wir könne immerhin noch auf Tour gehen. In der Nähe von meinem jetzigen zu Hause, gibt es einen Berg, der zwar nicht wirklich hoch ist mit seinen 150m, aber eine großartige Aussicht über Alta bietet und einen sehr schönen Aufstieg hat, auch jetzt im Winter. Zwischen den Jahren und an Neujahr bin ich sechs Mal, entweder allein oder mit meiner Gastmutter und Schwester, diese Tour gegangen, nur weil ich es so genieße draußen zu sein und mich, wenn ich ganz oben bin, an der Aussicht auf Alta zu erfreuen. Wie wahrscheinlich die meisten Norweger sagen würden: „Ut på tur aldri sur.“ (Wenn man draußen ist, ist man niemals wütend). Ich plane auch jetzt schon einmal hoch zu gehen, wenn man viele und starke Nordlichter sehen kann, weil sie noch deutlicher werden, wenn man um sich herum keine Straßenlaternen oder andere Lichter hat.

Ich habe das Ski-Fahren mit sieben oder acht Jahren in Deutschland erlernt und stand das letzte Mal mit acht oder neun Jahren auf Skiern. Mein kurze, aber erinnerungswürdige Skikarriere, endete damit, dass ich einen Mann umgefahren bin, weil ich vergaß wie man bremste. Was soll ich sagen, Wintersport ist nicht so wirklich meine Welt. Nachdem jedoch feststand, dass ich mein Auslandsjahr in Norwegen verbringen würde, wusste ich, dass ich mich mit meinen alten „Dämonen“ wohl oder übel auseinandersetzten müssen würde und meine Skikarriere wiederbeleben werden würde, denn: Norwegen ist das Land der Skifahrer. Hier werden die Kinder mit Skiern an den Füßen geboren. Das stimmt, by the way, natürlich nicht. Ich habe hier schon so einige getroffen, die sich sehr viel Schöneres vorstellen können als bei Minusgraden draußen Skifahren zu gehen und es auch ansonsten, so gut das eben geht, vermeiden. Meine Gastfamilie jedoch, ist begeistert im Wintersport und ich musste mich daher vor einigen Wochen auf Skiern wiederfinden. Zu meinem Pech sind wir auch noch Langlaufen gegangen, d.h. das bisschen Technik, dass ich im Skifahren hatte, war total für die Katz. Zum Langlaufen braucht man nämlich eine komplett andere Technik, als zum Skifahren, welches ich kannte. Mein Gastvater und meine Gastschwester haben selbstverständlich ihr Bestes gegeben, um mir das Langlaufen in möglichst kurzer Zeit zu erklären, jedoch mussten sie auch nach kurzer Zeit feststellen, dass sie mit mir mehr auf der Stelle stehen würden und daher auch schneller frieren würden. Aus diesem Grund sind wir an diesem Tag nur eine sehr kleine Runde gelaufen. Trotzdem muss ich zugeben, dass mir das Langlaufen Spaß gemacht hat und ich mich jetzt schon auf weitere Male freue und ich mir als Ziel gesetzt habe, am Ende des Winters mit meiner Gastfamilie mithalten zu können, wenn diese auf Tour gehen.

Das ist aber nicht mein einziges Ziel für mein Auslandsjahr. Mein größtes Ziel ist natürlich norwegisch am Schluss weitestgehend flüssig sprechen zu können, davon abgesehen möchte ich vor meinem Rückflug nach Deutschland auf jeden Fall einmal einen Elch gesehen haben und ich möchte auch einmal im Eiswasser baden gehen.

Zukünftigen AFSlern möchte ich mit auf den Weg geben, so offen wie nur irgend möglich in eurem Auslandsjahr zu gehen und immer Neues auszuprobieren. Lasst euch nicht von kleinen Niederlagen einschüchtern, sondern setzt euch Ziele und nutzt diese als Ansporn es besser zu machen und besser zu werden. Ihr habt nur zehn Monaten und auch wenn es manchmal wirkt, als ob alles in Zeitlupe abläuft, gehen diese schneller um als man erwartet. Macht diese zehn Monate zu eurem ganz eigenen Abenteuer.

 

 

Ganz zum Schluss, aber nicht weniger wichtig möchte ich allen danken, die mein Auslandsjahr ermöglicht haben. Zu aller erst natürlich meiner Mama und meiner Familie, die meine größte Unterstützung sind und mich immer in meiner Idee befürwortet haben. Meiner Gastfamilie, die meinen Traum von Norwegen verwirklicht haben und ohne die ich noch lange hätte warten müssen, um  Nordlichter sehen zu können und zuletzt auch meinem Stipendium-Geber AFS, der bei der Verwirklichung meines Traumes finanziell geholfen hat. 

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